Lebensweisen der Pilze
Mykorrhiza – Pilz trifft Wurzel
Die meisten Pilzfreunde verbinden mit Mykorrhiza-Pilzen zuerst die Röhrlinge, von denen viele an bestimmte Baumarten gebunden sind. Das Pilzmyzel bildet dabei ein dichtes Netz um die Pflanzenwurzel („Ektomykorrhiza“, EcM), um dort Wasser, Mineralstoffe und Stickstoffverbindungen gegen Zucker einzutauschen.
Ektomykorrhiza eines Filzröhrlings an Eiche
Bild: Wolfgang Prüfert
Sehr viel älter und weiter verbreitet ist die „Arbuskuläre Mykorrhiza“, kurz AM, bei der die Pilze in die Wurzel eindringen und dort kleine bäumchenförmige „Arbuskel“ bilden. Schon vor 460 Millionen Jahren haben Pilze damit den ersten Landpflanzen geholfen, die Kontinente zu erobern. Das älteste Fossil eines Landlebewesens ist ein Pilz. Etwa 300.000 Pflanzen, 90 % der bekannten Arten, beteiligen sich an dieser Symbiose. Auf Seiten der Pilze sind stets Arten aus der Abteilung der Glomeromycota beteiligt, von denen man nur wenige Hundert Arten kennt.
Ektomykorrhiza betreiben dagegen nur etwa 2.000 Pflanzenarten, dafür aber 5.000 Pilzarten (überwiegend Basidiomycota). In Waldbiotopen außerhalb der Tropen dominiert diese Form. Durch die Mykorrhiza bilden die Pilze ein Netzwerk, das die umliegenden Waldbäume miteinander verbindet. Über dieses Pilz-Netzwerk tauschen die Bäume untereinander Nährstoffe und Nachrichten aus, sogar organische Stoffe zwischen verschiedenen Baumarten, wie neue Studien der Uni Basel belegen (siehe den Science-Report „Belowground carbon trade among tall trees in a temperate forest“). Für dieses Netzwerk wurde der Begriff „Wood Wide Web“ geprägt.
Heidekrautgewächse haben wiederum ihre eigene Form der Mykorrhiza, Orchideen nutzen sie aus, um Pilze zu schmarotzen, und es gibt Pflanzen ohne Blattgrün, die Mykorrhizen als Parasiten bewohnen. Vieles ist noch ungeklärt, so gibt es bei Saftlingen erste Indizien, dass auch sie eng mit Pflanzen interagieren.
Doch obwohl Mykorrhiza nicht nur für die Gesundheit des Waldes, sondern auch für den Ernteerfolg auf den Äckern verantwortlich ist, weiß man eigentlich noch sehr wenig darüber, wie sie auf molekularer Ebene funktioniert. Viel Raum für weitere Forschung.
Saprobionten – Recycling im Wald
Holz ist ein kompliziertes Verbundmaterial aus der faserigen und biegsamen Zellulose und dem brüchigen aber festen Lignin. Lignin abzubauen ist dabei eine besondere Kunst, die nur einige Pilze beherrschen und damit die sogenannte Weißfäule bewirken.
Ein Beispiel für Saprobionten sind diese Baumbewohner
Bild: Wolfgang Prüfert
Wie man aus Genanalysen ableiten kann, gelingt den Pilzen der Abbau von Lignin erst seit ca. 300 Mio. Jahren – damals ging das Kohlezeitalter zu Ende. Unter den Holz- und Streuzersetzern gibt es Generalisten wie die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) und Spezialisten wie die Zitronengelbe Tramete (Antrodiella citrinella), die als Naturnähe-Zeiger an alten Weißtannen nur in Nationalparks Zuflucht findet. Der Zugespitzte Kugelpilz (Leptosphaeria acuta) hat sich auf vorjährige Stängel der Brennnessel spezialisiert und fehlt dort in keinem Bestand.
Saprobiontische Pilze sind also in jedem Lebensraum ein fester Bestandteil des Ökosystems. Die moderne Angewohnheit, Rabatten und Spielplätze mit Rindenmulch und Holzhäckseln zu belegen, hat einer Reihe an kulturfolgenden Pilzen einen neuen Lebensraum eröffnet.
Pilze können jeden Typ organischen Materials zersetzen – Champignons (Agaricus bisporus) werden klassisch auf Pferdemist gezüchtet, Austernpilze (Pleurotus ostreatus) auf Stroh. Der Spaltblättling (Schizophyllum commune) kann bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem sogar den Nasenknorpel befallen. Der Kerosinpilz (Amorphotheca resinae) lebt in Treibstofftanks von Flugzeugen und Schiffen.
Manche Pilze greifen auch lebende Organismen an und töten sie ab, um sich dann saprobiontisch von den toten Zellen zu ernähren. Solche „nekrotrophen Parasiten“ bilden den Übergang zum nächsten Kapitel. Typische Beispiele sind Hallimasche (Armillaria sp.) auf verholzten Pflanzen und Kernkeulen (Cordyceps sp.) auf Insekten und Spinnen.
Pilze, die organisches Material abbauen, lassen sich leicht züchten. Zudem sind Pilze „gute Chemiker“, die eine Vielzahl an Inhaltsstoffen produzieren. Daher werden sie für die biotechnische Gewinnung vieler Stoffe wie Enzyme verwendet. Das Potential für weitere Anwendungen ist noch bei weiten nicht ausgeschöpft.
Phytopathogene – von Mehltau und Mutterkorn
Pilze, die auf Pflanzen parasitieren, können riesige Schäden in der Landwirtschaft verursachen. Die Reisbräune (Magnaporthe oryzae) vernichtet weltweit jährlich mehrere Prozent der Reisernte.
Getreiderost an Berberitze
Bild: Wolfgang Prüfert
Derzeit bedroht Fusarium oxysporum weltweit den Bananenanbau. Weizen und Gerste werden von Getreiderost (Puccinia graminis) und Echtem Mehltau (Blumeria graminis) befallen.
Als „Pilzkrankheiten“ werden auch Infektionen mit pilzlichen Einzellern bezeichnet, wie die Kraut- und Braunfäule an Kartoffeln und Tomaten, die von dem Oomycet Phytophthora infestans verursacht wird. Als der Pilz 1842 nach Irland eingeschleppt wurde, vernichtete er praktisch die gesamte Kartoffelernte: Eine Million Menschen verhungerten und zwei Millionen wanderten aus.
Durch diese wirtschaftliche Bedeutung werden phythopathogene Pilze etwas intensiver erforscht als andere Pilzarten. Kern der Forschung ist dabei die Pilz-Pflanze-Interaktion: wie gelingt es dem Pilz, das Immunsystem der Pflanze zu überlisten? Welche Abwehrmechanismen entwickelt die Pflanze? Parasitische Pilze sind hoch spezialisiert und haben sich in Jahrmillionen an Ko-Evolution mit den Pflanzen zusammen entwickelt. Das „Wettrüsten“ zwischen Infektion und Resistenz ist dabei ein Treiber der Evolution. Die genetischen Methoden eröffnen der Wissenschaft neue Einblicke in dieses Zusammenspiel.
Die Wirtspflanze zu vernichten, ist dabei eigentlich keine gute Überlebensstrategie für den Pilz. Massen-Infektionen sind nur eine Folge der vom Menschen erzeugten Monokultur. In der Natur dezimieren phythopathogene Pilze die häufigen Pflanzenarten, und geben damit selteneren Arten eine Chance und fördern somit die Artenvielfalt. Die Grenzen zwischen Parasitismus und Symbiose sind zudem fließend: Der Gras-Kernpilz (Epichloe typhina) lebt z. B. im Inneren von Gräsern und bildet Giftstoffe, die das Gras vor Fraßfeinden schützt. Auch das Mutterkorn (Claviceps purpurea) hat früher die Ernten nicht durch Schädigung der Getreidepflanze vernichtet, sondern durch die nervengiftigen Alkaloide für den Menschen unbrauchbar gemacht.
Flechten – Pilze mit Untermieter
Flechten sind Pilze, die sich eine Alge oder Cyanobakterie als „Zuckerfabrik“ halten. Um es noch komplizierter zu machen: In einigen Flechten scheint auch noch eine Basidiomyceten-Hefe eine wichtige Rolle zu spielen – welche, ist jedoch noch nicht erforscht.
Flechten
Bild: Wolfgang Prüfert
In jedem Fall üben Flechten eine besonders intensive und erfolgreiche Pilz-Pflanze-Interaktion aus: während die Einzel-Organismen nur in optimaler Umgebung alleine lebensfähig sind, sind sie im Team als Flechte extrem genügsam und tolerant gegen Kälte und Trockenheit. So können sie von der Arktis bis zur Wüste sogar nackte Felsen als Extremstandorte besiedeln, wie die biblische Mannaflechte (Aspicilia esculenta).
Auf Luftschadstoffe reagieren viele Flechten dagegen sehr empfindlich, und dienen daher als Bio-Indikatoren im Monitoring.
Flechten werden auch aufgrund ihrer Inhaltsstoffe verwendet und erforscht: Das Destillat von „Eichenmoos“ (Evernia prunastri) ist ein unverzichtbarer Bestandteil vieler Parfüms, wenn auch wegen gelegentlich allergener Eigenschaften etwas in Verruf geraten. Der Farbstoff der Lackmusflechten (Roccella tinctoria u. a.) dient als Säure-Base-Indikator – der „Lackmustest“ wurde aus dem Chemieunterricht in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen.
Pilze im Ökosystem
Von allen Lebensformen mit einem echten Zellkern sind Pilze am weitesten verbreitet. Im Wasser und auf dem Land haben sich Pilze selbst in äußerst lebensfeindlichen Habitaten angesiedelt. Entsprechend vielfältig sind ihre Rollen in den unterschiedlichen Ökosystemen.
Symbionten, Parasiten und Folgezersetzer
Fressen und gefressen werden: ein Champignon als Nahrungsquelle.
Bild: Rita Lüder
Zahlreiche Pilzarten leben in einer direkten Wechselbeziehung mit anderen Lebewesen: Tieren, Pflanzen, anderen Pilzen oder Bakterien. Neben symbiontischen Beziehungen, bei denen beide oder mehrere der beteiligten Partner profitieren, gibt es Parasitismus, Kommensalismus (eine gemeinsame Existenz, deren Vor- oder Nachteile für die einzelnen Partner nicht erkennbar sind) und eine saprobiontische Lebensweise (Verwertung von totem organischem Material). Viele Pilze sind völlig von ihren Symbiosepartnern oder Wirten abhängig, aber auch viele Tiere und Pflanzen brauchen „ihre“ Pilze zum Überleben.
Eine herausragende Rolle in den Ökosystemen nehmen die Mykorrhizen ein – Symbiosen zwischen Pilzen und Pflanzen, bei denen die Pilze von den durch Pflanzen erzeugten Zuckerverbindungen profitieren, die Pflanzen wiederum von Wasser und Mineralstoffverbindungen, die von Pilzen geliefert werden. Wälder, Wiesen und auch Ackerflächen könnten ohne Mykorrhizen nicht existieren. Pilze unterstützen auf diese Weise „Primärproduzenten“, also Lebewesen, die mittels Photosynthese die Lebensgrundlage für Tiere und damit auch für uns Menschen schaffen.
Viele Tierarten bedürfen für ihre Ernährung einer Kooperation mit Pilzen. Im Verdauungstrakt pflanzenfressender Wirbeltiere, wie dem unserer Kühe, helfen mikroskopisch kleine, einzellige Pilze aus der Verwandtschaft der Vielgeißelpilze (Neocallimastigomycota), schwerverdauliches Gras zu verwerten.
Die Konsequenz für uns Menschen ist, dass Getreide- und Obstbau, Waldwirtschaft und Milchwirtschaft direkt von den Ökosystem-Dienstleistungen der Pilze abhängig sind.
Im tropischen Amerika leben Ameisenarten, die in unterirdischen Bauten Blätter kompostieren, auf ihnen Pilze züchten und dann von speziellen Organen dieser Pilze leben. Eine ähnliche Lebensgemeinschaft findet man bei Termiten in Afrika. Auch viele in Holz lebende Käfer nutzen die Hilfe von Pilzen, um ihrer Brut unverdauliche Substanzen aus dem Holz zu erschließen.
Parasiten schmarotzen auf anderen Lebewesen, ohne ihrem „Wirt“ eine Gegenleistung dafür zu erbringen. Ihre Rolle im Ökosystem besteht in der Dezimierung von dominanten Arten, wodurch konkurrenzschwächere Lebewesen bessere Überlebenschancen haben. Damit regulieren Parasiten die Artzusammensetzung und fördern die Artenvielfalt. Da Wirt und Parasit in einer engen Wechselbeziehung leben und sich miteinander ständig weiterentwickeln, sind Parasiten auch Antrieb für die Evolution.
Die Grenze zwischen Schmarotzern und Folgezersetzern, also Parasiten und Saprobionten, ist im Pilzreich nicht eindeutig und zeigt viele Übergänge. Ein Beispiel ist der Zunderschwamm mit seinen mehrjährigen Fruchtkörpern. Er kann sein Dasein als Parasit auf Rotbuche oder Birke beginnen und noch viele Jahre, nachdem der Baum abgestorben ist, auf ihm weiterwachsen. Er verursacht eine Weißfäule und verwandelt das Holz langsam in Humus.
Der Parasitische Scheidling befällt Nebelkappen.
Bild: Rita Lüder
In Naturwäldern Skandinaviens und der Ukraine fügt sich der bei uns als gefürchteter Baumschädling betrachtete Hallimasch problemlos in das Ökosystem ein. Dort ist er nahezu ausschließlich an alten und geschwächten Bäumen zu finden. Werden auf weiten Flächen, wie in Deutschland oft geschehen, Nadelbäume wie Tannen, Wald-Kiefern und Fichten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets angepflanzt, die an diese Standorte schlecht angepasst sind, ist die entstandene Monokultur leichte Beute für Parasiten. Dies betrifft auch Monokulturen im Acker- und Gartenbau. Auch Störungen des ökologischen Gleichgewichts durch Umweltbelastungen können Parasiten verschiedener Gruppen begünstigen.
Pilze schmarotzen nicht nur auf Pflanzen, sondern auch auf anderen Pilzen. So parasitiert der Schmarotzer-Röhrling (Pseudoboletus parasiticus) Kartoffelboviste. Die Zwitterlinge (Asterophora-Arten) wachsen direkt auf Täublingen oder Milchlingen und der Parasitische Scheidling (Volvariella surrecta) auf Nebelkappen. Diese Parasiten verhindern die Sporenreifung des Wirtes und fügen ihm auf diese Weise Schaden zu.
Auch Insekten können Wirte für pilzliche Parasiten sein, z. B. für die auf vergrabenen Puppen von Schmetterlingen lebende Orangegelbe Puppenkernkeule (Cordyceps militaris) oder ihren Verwandten, Ophiocordyceps unilateralis, der als „Zombipilz, der das Gehirn der Ameisen steuert“ Schlagzeilen gemacht hat. Er ist im brasilianischen Regenwald beheimatet und entwickelt sich in den Ameisen, die daraufhin ihr Verhalten ändern.
Schaffung von Lebensräumen und Futter für andere Lebewesen
Porlinge sind ein Lebensraum für Insekten, wie hier für die Pilzgallenfliege.
Bild: Rita Lüder
Viele der holzabbauenden Pilzarten, etwa die großen Porlinge, die alte, noch lebende Bäume abbauen, schaffen dadurch Baumhöhlen, die z. B. für große Insekten wie Bockkäfer lebensnotwendig sind. Auch seltene Vogel- oder Fledermausarten können hier Unterschlupf finden. Die Fruchtkörper von Großpilzen können selbst eigene Lebensräume bilden, in denen vor allem Kleinlebewesen wie Springschwänze und Insekten leben. Es gibt dabei Spezialisten, wie die Pilzgallenfliege Agathomyia wankowiczii, die in den Fruchtkörpern des Flachen Lackporlings (Ganoderma applanatum) lebt.
In den Tropen schaffen Schwindlings-Arten (Marasmius sp.) in Regenwäldern eigene Lebensräume mit Hilfe ihrer Rhizomorphen – fädige Auswüchse, die netzartige Strukturen bilden können. Die Pilze wachsen auf Ästen in großer Höhe und die gebildeten „Pilz-Netze“ fangen Falllaub auf und bilden so eine Streuschicht, die vielen Kleinlebewesen Schutz und Nahrung bietet.
Die Fruchtkörper von Pilzen sind wichtige Nahrungsquellen für Säugetiere, Insekten, andere Arthropoden und Schnecken. Auch unterirdisch gebildete Fruchtkörper wie verschiedene Trüffeln (Tuber-Arten, Hirschtrüffeln der Gattung Elaphomyces) sind in diesem Zusammenhang wichtig und spielen in der Nahrungskette eine große Rolle. Die Tiere „revanchieren“ sich durch die Verteilung der Pilzsporen.
Bodenverbesserung
Pilzmyzelien sind ein wichtiger Bestandteil der Biomasse in Böden. In etwa 1 kg landwirtschaftlich genutzten Bodens kann die Gesamtlänge der Myzelien bis zu 300 m betragen, in der Streu von Waldboden bis zu einigen Kilometern. Pilzhyphen können Stoffe ausscheiden (Exopolysaccharide wie Glomalin), die Bodenpartikel verkleben und so für eine bessere Wasserbindekapazität und bessere Resistenz gegen Erosion sorgen. Bei der Bodenbildung kommt manchen auf Gestein oder Erde lebenden Flechten eine wichtige Rolle zu: Sie sondern Flechtensäuren ab, die Gestein teilweise auflösen können und Mineralverbindungen freisetzen.
Pioniere und Primärproduzenten
Flechten sind Symbiosen zwischen einem Pilz und einer Alge und/oder einem Cyanobakterium. Sie können sehr lebensfeindliche Gebiete wie Wüsten oder Hochgebirge besiedeln. Keiner der Partner könnte in diesen Habitaten allein überleben – nur die Symbiose macht es möglich: Der Pilz bietet mit seinen Hyphen der Alge Schutz vor Trockenheit, Kälte, Hitze und starker UV-Strahlung. Die Alge kann dadurch mit sehr geringen Wassermengen überleben und produziert Zucker über Photosynthese, was den Pilz ernährt. So wird diese Symbiose zum Primärproduzenten und Pionier in lebensfeindlicher Umwelt. Viele Klein- und Kleinstlebewesen können Flechten besiedeln und finden so ebenfalls einen sonst unzugänglichen Lebensraum.